Hallo Freunde !
Wieder einmal eine Geschichte, die nur am Rande mit der Fischerei zu tun hat, aber umso mehr eine kleine Charakterstudie sein soll.
Als ich noch sehr jung war und gerade erst meinen Führerschein gemacht hatte, fischte ich sehr fleißig in meinem damaligen Lieblingsgewässer, einer kleinen Schottergrube in der Lobau, die es noch heute gibt.
Der Fischbestand war reichlich, weil die meisten unserer Vereinskollegen den Anmarsch zu Fuß zu diesem kleinen Gewässerchen scheuten und außerdem war und ist dieses Gewässerchen im Sommer von FKK-Badenden belegt.
Karpfen und Schleien gab es, und ein überreichlicher Bestand an Lauben, Rotaugen etc. bot reichlich Nahrung für die Räuber Hecht und Zander.
Ich kann sagen, dass ich bis Anfang der 2000er Jahre wohl meine meisten Fische dort gefangen hatte.
Als Oberstufenschüler in den Sommerferien hätte ich schon fast einen „Meldezettel“ dort haben können, denn in der Früh und/oder am Abend wurde gefischt, und unter Tags wurde gesonnt und gebadet .
Bald fühlte man sich fast wie in einer großen Familie, jeder kannte jeden, und es gab einen „fahrenden Händler“, der mit seinem Schubkarren Bier und alkoholfreie Getränke feilbot. Kühltaschen waren damals noch relativ unentwickelt, und so war das Bier durch einen großen Eisblock gekühlt, denn damals konnte man das Eis noch in einer sogenannten „Eisfabrik“ kaufen.
Nie werde ich die laute heisere Stimme dieses Bierverkäufers vergessen, die wie Reibeisen klang und quer über das ganze Wasser tönte „BIIIIIIER, COOOOOLA, FANTA, LLLLLIFT, SPRITE, FLEISCHLABERLN WURSCHTSEMMERLN HAMMA DA !!!!!“
EISKALTES BIIIIIIER GIBT ES HIIIIIER !!!!!
Und schon kaufte man das gute alte Schwechater Lager, wie es junge Generationen nur mehr aus den alten Mundl-Filmen kennen, mit dem „Plopp“ beim Aufmachen.
Eines Tages hatte unser Bierhändler Verstärkung durch einen weiteren Mann, der für ihn den Schubkarren schob.
Dieser Mann ist nun der Held dieser Geschichte.
Ich möchte ihn so beschreiben:
Er hatte eine etwas ramponierte Kapitänsmütze auf, und einen Bart wie ein Bilderbuchkapitän, also Vollbart mit ausrasierter Oberlippe, fast wie in der Iglo-Werbung, aber sonst eher abgesandelt.
Um zusätzlich zu der „BIER HAMMA HIER“ Schreierei seines „Chefs“ den Verkauf anzukurbeln, blies er auf einem Klopapierrollenkartonrohr in der Art des Nebelhornes eines Dampfers, ganz passend zu seiner Kapitänsmütze und seinem Kapitänsbart.
Dieser abgesandelte „Kapitänstyp“ wurde ein fixer Bestandteil der dortigen Idylle, denn mit Seesack und Schlafsack nächtigte er dort im Freien, eben ein echter Sandler. Er sprach mit norddeutschem Akzent mit auffallend gehobenem Niveau und erzählte uns allen, dass er Kapitän sei, eigentlich in Spanien lebe, wo er eine große Villa am Meer hat und natürlich sein Schiff.
Wieso er dann hier in der Lobau im Freien nächtige und sich als Gehilfe eines fahrenden Händlers durchschlägt, begehrten ich zu wissen, denn irgendwie faszinierte mich an dem seltsamen Zeitgenosse seine Art zu sprechen, ein sehr korrektes norddeutsches Hochdeutsch mit einer sonoren Bass-Stimme.
Jaaaa, das sei eine lange Geschichte. Eigentlich stamme er ja aus Wien, habe sogar blaublütige Vorfahren, sei aber in Hamburg aufgewachsen und seit Jahrzehnten in Spanien als Kapitän ansässig, aaaaaaaber….. er habe vor einige Wochen erfahren, dass er eine millionenschwere Erbschaft in Wien antreten könne, und auch wenn er ja gar nicht auf das Geld angewiesen sei, denn er habe allen Luxus der Welt in Spanien, sei er doch angereist nach Wien mit dem Flugzeug, habe sich eine Suite im Imperial am Ring genommen und sei zum Notar gegangen. Alles schön und gut, nur hätte er die Wiener Bürokratie unterschätzt, und so ziehe sich die Erbschaftsangelegenheit schon seit Wochen und natürlich habe er dann nicht mehr genug Bares gehabt, um seine Hotelrechnung im Imperial zu bezahlen, und so hätte er sich gedacht, sparst Du Geld, schläfst hier im Freien in der Lobau, denn es ist sowieso Sommer. Seinen besten Anzug habe er sowieso in einem Bahnhofschließfach und wenn dann endlich der Tag käme, wo der Notar den Abschluss der Erbschaft verkünde, würde er seinen besten Anzug anziehen, die Millionen einstreifen und zurück nach Spanien fliegen.
Ach ja, und er heiße Peter Altenberg, eigentlich ja „VON Altenberg“ , aber wir, seine Freunde (lach) können ihn einfach nordeutsch „Piet“ nennen, Piet Altenberg, Kapitän mit Villa am Meer in Spanien, das sei er, he he he, und bald noch um ein paar Milliönchen reicher……
Wer es ihm glaubte………
Eines muss man ihm lassen: Er hatte einen immens hohen Bildungsgrad und was er so über spanische Festungen und maurische Mosaike erzählte, und über seine Reisen hinüber über die Straße von Gibraltar nach Marokko mit den ganzen Weltkulturerben von dort, die er bis ins kleinste Detail beschrieb, das überstieg eigentlich schon die durchschnittliche Allgemeinbildung.
Als er noch nebenbei erwähnte, ein absoluter Jazz- und Blues-Freak zu sein, hatte er besonders mein Herz gewonnen, und auch da war erstaulich, wie er jedes Winkerl des weltberühmten damals existenten „Whisky-Jazzclub“ in Madrid beschrieb und all die Weltstars, die er dort live gehört habe, wenn er nicht gerade selber Klavier gespielt hätte, denn natürlich spiele er auch Klavier wie ein Gott und verzaubere mit seinem Klavierspiel die Frauenwelt“....
Wieso er dann aber keine Partnerin habe, wenn er so reich sei, so eine Prunkvilla in Spanien habe und wie ein Gott klavierspiele, fragte ich…….?
„Ja, als Kapitän bin ich immer auf See, und liebe die Freiheit und nicht den Hafen der Ehe, aber für die Lust sei reichlich gesorgt, denn immer kommen Busse voll mit Schwedinnen in Malaga an, da müsse er sich nur in seine Kapitäns-Galauniform schmeissen, von seiner Villa auf der Anhöhe runtergehen und mit dem Finger schnippen und schwupps hätte er eine ganze Ladung schwedischer Touristinnen für eine Nacht und das reicht bis zum nächsten Mal……
Eine blühende Phantasie hatte er, das muss man ihm lassen !
Zu seiner Ehre muss gesagt werden, dass er niemanden um Geld anschnorrte. Man lud ihn auf ein Bier ein, spendete ihm eine Zigarette, und er erzählte, erzählte, erzählte……., sein gutgläubiges Publikum, meine Wenigkeit miteinbezogen hatte er……
An mir muss er einen besonderen Narren gefressen haben, denn eines Tages verkündete er mir, er sei zwar normalerweise kerngesund, habe sich aber auf seinen Fahrten in den afrikanischen Kontinent die Malaria geholt, und manchmal nächtens wie soeben in der letzten Nacht sei er von schweren Fieberschüben gepackt. Medikamente helfen da nicht, laut Ärzten sei das einzige Heilmittel etwas Hochprozentiges, und er schäme sich, die Bitte an mich heranzutragen, aber wenn es mir irgendwie möglich wäre, ob ich vielleicht einen billigen Rum zuhause herumstehen hätte, den sonst keiner mag……., jaaaaa, wenn er das hätte, wäre er auch die nächtlichen Fieberschübe los
Ich stahl aus dem Küchenschrank meiner Mutter eine Flasche Inländer-Rum, den sie sonst für Weihnachtsbäckereien verwendete, und brachte ihm die Flasche am nächsten Tag. In großen Zügen trank er den Rum aus der Flasche und meinte, jetzt sei es vorbei mit den Malariaschüben für die nächste Zeit, und wenn er dann seine Erbschaft abgeholt habe und nach Spanien zurückkehre, sei ich jederzeit sein willkommener Gast, er habe auch eine kleine schmucke Yacht mit Hochsee-Fischerei-Ausrüstung komplett, dann würden wir hinausfahren auf´s Meer und ich könne Haie, Marline und was noch alles fangen, er kenne die besten Spots dafür……
Als er sah, dass ich filterlose Zigaretten rauchte, trug er die nächste Bitte vor. Ich solle zu Hause die Kippen nicht wegwerfen, sondern in einem Sackerl sammeln und ihm bringen, denn dann müsse er nicht schnorren und hätte genug zu rauchen.
Am nächsten Tag brachte ich ihm einen Sack voll mit Zigarettenkippen, wofür er mir mit „guter Junge, guter Junge, Dich schickt der Himmel“ überschwenglich dankte, dass ich mich fast schämen musste.
Wir alle seien seine Freunde, die ihm aus der kleinen Misere der langen Warterei auf seine Erbschaft mit kleinen Gaben hinweggeholfen haben, und am 1. September wäre der große Tag, wo er seine Millionenerbschaft einkassiert, und dann sind wir alle seine Gäste, erst wird er uns zu einem Diner in das beste Restaurant der Innenstadt einladen, und dann kämen wir alle mit nach Spanien in seine Villa und lassen es uns ein paar Wochen lang gut gehen, bis er wieder in See stechen muss.
Der 1. September war auch an jenem Revier der Beginn der Spinnfisch-Saison. 2 Tage vorher war der wochenlange heiße Sommer zu Ende gegangen und es regnete und regnete, sodass ich mich schon fragte, was aus unserem „Piet von Altenberg“ wohl jetzt geworden sei, und sicher sei er gerade beim Notar und käme dann wieder in die Lobau, um uns als nunmehr wieder reicher Mann alle einzuladen.
Ich begann meine Würfe, fing auch bald meinen obligaten 1.Septemberhecht und begab mich an den Platz, den unser Piet von Altenberg als sein Lager auserkoren hatte, aber ausser einer alten Decke und seiner ramponierten Hose, die an einem Zweig hang, war da nichts mehr. Niemand hat ihn je wieder zu Gesicht bekommen.
Klar ist eines: Er war muss wohl irgendeinen Background gehabt haben, denn was er an fundiertem Wissen in allen kulturellen und historischen Bereichen so von sich gab, war nicht ohne. So etwas schnappt man nicht so nebenbei auf. Wie und warum er wohl im wahrsten Sinne „Schiffbruch“ erlitten hatte, werden wir nie erfahren, und er ward auch nie wieder gesehen.
Ich junger Dummkopf hatte auch tatsächlich geglaubt, dass er „von Altenberg“ heißt, aber der Name war wohl jedenfalls gut erfunden, denn irgendetwas hatte er ja von dem legendären, skurillen und trinkfreudigen Schriftsteller der Jahrhunderwende „Peter Altenberg“.